Kommt, lasst uns verhandeln, sagt G'tt; Wenn eure Sünden scharlachrot sind, werden sie weiß wie Schnee.
Dem einfachen Verständnis nach sagt uns dieser Pasuk aus dem Buch Jeschajahu, dass auch schwerste Sünden verziehen werden, wenn wir Tschuwa, Rückkehr auf G'ttes Weg, machen. Doch das Erfordernis der Tschuwa steht nicht ausdrücklich im Text, auch wenn es im Kontext naheliegt, dass diese erforderlich ist.
Basierend auf dem Befehl der Tora, als Richter seine Mitmenschen gerecht zu richten, schreibt die Halacha vor, dass beide Streitparteien vor Gericht gleich gut gekleidet sein müssen. Der Grund ist, dass ein schlechter Eindruck aufgrund des optischen Eindrucks dazu führen kann, dass richtige Argumente nicht entsprechend gewürdigt werden. Aus diesem Grund muss eine reichere Streitpartei bei einem extremen Unterschied im Kleidungsstil entweder selbst auf teure Kleidung verzichten oder ihren Gegner dem eigenen Niveau entsprechend kleiden. Darauf basierend erklärt der Rema aus Pano (Italien, 16. Jahrhundert) den Pasuk etwas anders. Wir sind durch unsere Sünden befleckt, während G'tt natürlich ganz rein ist. Da er, wie der Beginn des Pasuks zeigt, mit uns vor einer Verhandlung steht und sich natürlich nicht beflecken kann, um sich uns anzupassen, muss er uns das reine Gewand der Sündenfreiheit verleihen, noch bevor die Verhandlung, der Prozess der Tschuwa, begonnen hat. Doch selbstverständlich müssen wir auf den richtigen Weg zurückkehren wollen, damit G'tt uns bereits im Voraus die Sündenfreiheit gewährt. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir zu Jom Kippur einen weißen Kittel tragen: Wir zeigen damit unseren Willen, "weiß wie Schnee", also von Sünden rein zu sein. Wenn wir das wollen, wird G'tt es uns auch ermöglichen.
In den zehn Tagen von Rosch Haschana bis Jom Kippur soll man noch genauer mit der Einhaltung der Gebote sein als im restlichen Jahr. Jemand, der das Jahr über koscheres Brot von einem nichtjüdischen Bäcker isst, soll sich zum Beispiel in diesen zehn Tagen bemühen, nur Brot von einem koscheren Bäcker zu essen. Doch auch die Einhaltung aller anderen Gebote sollen wir genauer nehmen. Doch was ist der Sinn darin, wenn wir nachher wieder so wie bisher weitermachen?
In Israel saß einmal ein Mann im Gefängnis, weil er sich weigerte, seiner Frau einen Get zu geben. Als einmal ein Rabbiner das Gefängnis besuchte, bat der Gefängnisleiter diesen, mit dem Häftling zu sprechen. Nach einiger Zeit war sich der Rabbiner sicher: Dieser Mann wird seiner Frau keinen Get geben, da er sich an den Alltag im Gefängnis gewöhnt hatte. Nach einigem bürokratischen Aufwand konnte aber eine ungewöhnliche Lösung gefunden werden: Der Häftlinge wurde bedingungslos entlassen und ein halbes Jahr später ebenso plötzlich wieder eingesperrt. Innerhalb kürzester Zeit gab dieser Mann seiner Frau den Get, da seine Gewöhnung an den Gefängnisalltag gebrochen war und er wieder gerne in Freiheit Leben wollte.
Ein Mensch gewöhnt sich leicht an das Begehen von Sünden oder das Anwenden von halachischen Erleichterungen. Ähnlich wie in der Geschichte aus dem israelischen Gefängnis brechen wir durch unsere besondere Bedachtnahme auf die Gebote in den zehn Tagen unsere schlechten Gewohnheiten und haben so die Chance, das neue Jahr unbelastet zu beginnen. Unabhängig vom weiteren Verhalten nach Jom Kippur haben wir unsere Gewöhnung an manche Taten zumindest beendet.