Abgesehen von den fünf Verboten zu Tischa Beaw, die auch von Jom Kippur bekannt sind, ist eine der schwierigsten Einschränkungen des Fasttages das Verbot, andere zu grüßen. Das inkludiert auch Grüße wie "Guten Morgen" oder "Schawua Tow." Wird man von jemandem gegrüßt, der diese Halacha nicht kennt, soll man den Gruß ohne eine Grußformel und ohne viel Aufhebens erwidern. Dies sind die gleichen Bestimmungen wie für ein Trauerhaus.
Wir trauern zu Tischa Beaw wegen der Zerstörung der Tempel, insbesondere der des 2. Tempels. Der Grund für dessen Zerstörung war grundloser Hass zwischen den Leuten. Es stellt sich die Frage, ob es angesichts dessen nicht angebracht wäre, einander besonders viel und deutlich zu grüßen, um die Sünde, die zur Zerstörung geführt hat, wiedergutzumachen?
Wenn es zwischen zwei Leuten eine Anspannung gibt und der eine den Gruß des anderen nicht erwidert, lässt es den anderen mit einem unguten Gefühl zurück, während der erste davon möglicherweise gar nichts mitbekommt. Zu Tischa Beaw wird dieser Person aber merken, wie unangenehm es ist, nicht gegrüßt zu werden. Doch sofort nach Tischa Beaw kann diese Person und können wir, nachdem wir uns bewusst geworden sind, wie wichtig es für Menschen ist, gegrüßt zu werden, bewusst unsere Mitmenschen grüßen.

 


Am Anfang von Megillat Eicha steht, dass Jeruschalajim "wie eine Witwe" war. Doch was bedeutet das eigentlich? War Jeruschalajim eine Witwe, oder nicht?

In der Gemara wird diskutiert, ob eine Frau, deren Mann nach Übersee verreist und längere Zeit nicht zurückgekehrt ist, dessen Besitz verkaufen darf, um davon zu leben. Im Ergebnis ist es zulässig, wenn er fliehen musste. Wenn er sich aber ordentlich verabschiedet hat und die Reise geplant war, wird davon ausgegangen, dass er ausreichende Maßnahmen getroffen hat, damit seine Familie versorgt ist. 

Haschem hat das Volk aus Jeruschalajim vertrieben, doch noch zuvor wurden Talmidej Chachamim nach Bawel gebracht, die dort bereits Vorbereitungen trafen, die später dem vertriebenen Volk zugute kamen. So wurden Bethäuser, Jeschiwot, Mikwa'ot, etc. errichtet, denn wie ein Ehemann vor der Reise für seine Familie vorsorgt, hat auch G'tt für sein Volk in der Diaspora vorgesorgt. Genauso war es vor der Zerstörung des Zweiten Tempels, als in Jawne bereits ein jüdisches Zentrum errichtet wurde, bevor das Volk vertrieben wurde. Außerdem ließ G'tt uns die Westmauer des Tempelgeländes, von wo sich die Sch'china, die G'ttliche Gegenwart, nie entfernen wird.

Einerseits war Jeruschalajim verlassen, da das Volk nicht da war, doch andererseits hat G'tt vorgesorgt, wie ein reisender Ehemann, daher wird die Stadt in der Megilla "wie eine Witwe" beschrieben. 


Am Anfang von Megilat Ejcha, die zu Tischa Be'aw gelesen wird, steht über die Stadt Jeruschalajim nach der Zerstörung des Tempels und der Vertreibung der Juden: "Sie weint in der Nacht." Doch weshalb nur in der Nacht?

Ein Midrasch berichtet, dass die Babylonier wussten, dass die Tore der Tränen nicht verschlossen werden. Während in manchen Situationen für manche Menschen sogar die Tora der Tschuwa (Rückkehr, Buße) verschlossen werden, dringen echte Tränen immer bis zu G'tt durch. Nach der Zerstörung des Tempels wurden Millionen Menschen nach Babylonien verschleppt. Auf langen Märschen, bei denen viele umkamen, wurde ihnen aus dem genannten Grund sogar das Weinen verboten. In der Nacht jedoch, als sie nicht beobachtet wurden, konnten die Juden weinen.

Die Nacht von Tischa Be'aw war aber bereits während der Wüstenwanderung mit Mosche zukünftigen Katastrophen und der Trauer gewidmet. Als die Kundschafter von ihrer Mission zurückkehrten und vor einer Eroberung des Landes warnten, obwohl diese von G'tt angeordnet wurde, weinte das Volk aus Verzweiflung. Es meinte nicht zu wissen, was es tun soll. G'tt sagte damals: "In dieser Nacht habt ihr umsonst geweint, in der Zukunft werdet ihr in dieser Nacht begründet weinen." Natürlich weinen wir auch am Tag über die Zerstörung des Tempels, aber die Betonung liegt auf der Nacht, da diese für Unglücke vorherbestimmt wurde.


Zu Tischa be'Aw lesen wir die Megillat Eicha. In dieser wird die Zerstörung von Jeruschalajim beschrieben. Sie wurde bereits vor der Zerstörung vom Propheten Jirmijahu geschrieben, doch die Bevölkerung von Jeruschalajim glaubte nicht an die Prophezeiung. Etwas ähnliches ereignete sich auch während der Schoa, als Juden aus anderen Ländern die Berichte über die Judenverfolgungen nicht glauben wollten. Denn der Mensch tut sich schwer damit, etwas zu glauben, das nicht in sein Weltbild passt.

In der Gemara steht, dass bei der Zerstörung des ersten Tempels die Sünde, die dazu führte und auch das Ende des darauffolgenden Exils dem Volk bekannt waren. Bei der Zerstörung des zweiten Tempels dagegen war sich das Volk seiner Sünde nicht bewusst, und wir kennen auch bis heute nicht das Ende des darauffolgenden Exils. Das liegt daran, dass das Volk nach der ersten Tempelzerstörung die Gründe, nämlich Götzendienst, Inzucht und Blutvergießen, kannte, Tschuwa machte und deshalb erfuhr, wann es wieder ins Land Israel darf. Der Sünde bei der zweiten Zerstörung, grundloser Hass, war dem Volk damals nicht bewusst, sie wurde als kleineres, relativ unbedeutendes Vergehen angesehen und bis heute ist es uns nicht gelungen, diese Sünde vollständig zu korrigieren.

Dies ist auch in zwei Psukim in der Megillat Eicha angedeutet: Der erste weist auf die erste Tempelzerstörung hin: "Jerusalem sündigte schwer, deshalb wurde es unrein (wörtlich: Nidda) (...) und es selbst seufzte auch und kehrte zurück." Die Bevölkerung sündigte also, kehrte aber auf G'ttes Wege zurück und ist deshalb wie eine unreine Frau, die zwar von ihrem Mann getrennt ist, aber weiß, dass sie wieder zurückkehrt. Der folgende Passuk weist auf die zweite Tempelzerstörung hin: "Seine (Jeruschalajims) Unreinheit war an den Enden seiner Kleider, es war sich seines Endes nicht bewusst." Die Sünden werden nur als weniger wichtige, entfernte Verstöße betrachtet, wie die Enden der Kleider, deshalb wissen wir auch bis heute nicht, wann das Ende des Exils sein wird.

Wir können daraus mitnehmen, dass wir zu Tischa Be'Aw nicht nur daran denken müssen, was geschehen ist, sondern auch, was jetzt geschieht, und wie wir unser Verhalten verbessern können, in dem wir sowohl die Mizwot zwischen uns und unseren Mitmenschen, als auch die Mizwot zwischen uns und G'tt einhalten.


Tischa Be'aw am Abend wird nach dem Abendgebet Megillat Eicha gelesen. In dieser wird von der Zerstörung des Tempels erzählt. Im ersten Passuk steht, dass die Stadt Jerusalem einsam "wie eine Witwe" zurückblieb.


Raschi erklärt dazu, dass mit "wie eine Witwe" eine Frau gemeint ist, deren Mann auf einer langen Geschäftsreise ist. Sie ist keine echte Witwe, denn ihr Mann lebt, aber sie ist von ihm verlassen und wartet auf seine Rückkehr. So ist es auch bei der Zerstörung des Tempels zu Tischa Beaw gewesen: G'tt hat uns verlassen, und wir blieben einsam zurück, doch G'tt wird wiederkommen, so wie der Ehemann nach der Reise zu seiner Frau zurückkehren wird.

G'tt hat bereits vor der Zerstörung des ersten Tempels Weise und Gelehrte nach Bawel führen lassen, damit diese dort das Tora-Studium aufbauen können, damit nach der Zerstörung das Judentum im Exil weiter existieren kann, Und auch vor der Zerstörung des zweiten Tempels hat Rabbi Jochanan ben Sakaj in Jawne mit anderen Gelehrten das Studium aufgenommen, damit nach der Zerstörung das Judentum weiter eine Basis hat. Und so wurde dann auch in Bawel und Jawne der Talmud in seinen beiden Ausgaben geschrieben. G'tt hat also noch bevor er uns "verlassen" hat, dafür gesorgt, dass er wieder zurückkommt.

Ein Zeichen dafür ist auch, dass der Maschiach, unser Erlöser, zu Tischa Beaw, dem Tag der Zerstörung, geboren wird.


 Am Ende der Haftara dieser Woche, die ganz dem Trost für den Verlust des Tempels gewidmet ist, werden einander die Worte "Sason" und "Simcha" einerseits, und "Toda" und "Kol Simra" andererseits in einer Prophezeiung gegenübergestellt.

Der Gaon von Wilna erklärt, dass "Sason" eine innere Freude ist, die nur der Mensch in sich spürt. Simcha dagegen ist eine Freude, die nach Außen dringt und zur vollkommenen Freude führt. Ein Beispiel sind Eltern bei der Brit Mila. Sie freuen sich innerlich, "Sason", aber sie können sich nicht vollständig freuen. Das Kind ist noch sehr klein, es hat Schmerzen, man sorgt sich. Im Gegensatz dazu steht eine Hochzeit, bei der sich Chatan und Kala innerlich freuen, aber diese Freude auch ganz stark nach Außen tragen und sie so vollständig machen, "Simcha". Aus diesem Grund ist Simcha auch so ein wichtiges Thema in den Schewa Brachot bei einer Hochzeit.

Die selbe Parallele trifft auch auf die Begriffe für Dank zu: "Toda" ist innerlicher Dank, eine Gefühl der Dankbarkeit. "Kol Simra", verwandt mit dem Ausdruck "Smirot", ist das äußern und aussprechen der Dankbarkeit und führt zum vollständigen Dank.