Zu Jom Kippur bitten wir für die Sünden um Verzeihung, die wir "unter Zwang und freiwillig" getan haben. Nachvollziehbarerweise müssen wir für die freiwilligen Sünden um Verzeihung bitten. Doch was ist mit Sünden gemeint, die wir unter Zwang ausüben? Ist damit ein tatsächlicher, unausweichlicher Zwang gemeint, begeht man ja gar keine Sünde. Hier sind Sünden gemeint, die man eigentlich nicht tun wollte, zu denen man sich aber aufgrund einer Situation gezwungen sah, obwohl man nicht unbedingt so handeln hätte müssen.
Eine Erklärung für diesen Begriff bezieht sich auf den Grundsatz, dass G'tt Zadikim nicht dazu bringt, eine unabsichtliche Sünde zu begehen. In der Gemara wird von Rabban Gamliel berichtet, in dessen Haus das Fleisch angebrannt ist, woraufhin die Köchin es durch unkoscheres ersetzte. Doch als der Kellner es servierte, rutschte er aus und das Fleisch fiel auf den Boden, sodass Rabban Gamliel auch nicht anabsichtlich dazu kam, das Fleisch zu essen.
Doch warum ist es so, dass Zadikim vor nicht beabsichtigten Sünden geschützt sind? Wenn sich jemand sehr um die Ausübung eines Gebotes bemüht, hilft G'tt ihm dabei, dass er es auch wirklich ausüben kann. Wenn jemand jedoch die Gebote einhalten will, damit aber nicht sehr sorgfältig ist, wird er nicht dabei unterstützt, diese nicht unabsichtlich zu übertreten. Wenn also jemand eine Sünde unabsichtlich begangen hat, liegt es daran, dass er sich um dieses Gebot nicht sorgfältig genug bemüht. Aus diesem Grund bitten wir auch um Verzeihung für diese Sünden, denn wir tragen auch dafür Verantwortung.
In einem der Gebete, das wir in der Zeit um Roscha Haschana bis inklusive Jom Kippur sagen, bitten wir "den, der Awraham geantwortet hat", auch uns zu retten. Dies wiederholt sich dann mit so wichtigen Persönlichkeiten unserer Geschichte wie Jizchak, Ja'akov, Josef, Mosche, Aharon, König David,Pinchas, Elijahu Hanawi, Elischa, Daniel, Esra, Mordechai, Esther, und allen Zaddikim. Doch ist es nicht eigentlich frech zu erwarten, dass G'tt uns helfen soll, wie er diesen großen Zaddikim geholfen hat?
Von Rabbi Elimelech von Lisensk stammt der Gedanke, dass man an jemanden denken soll, der eine bestimmte Errettung erfahren hat, wenn man diese selbst benötigt. Denn wenn jemand errettet wird, öffnet sich ein himmliches Tor für diese Angelegenheit, und dieses schließt sich nicht mehr. Wenn man dann diese Person erwähnt, ruft man das himmlische Tor in Erinnerung, das sich wegen ihr geöffnet hat, und das nun auch der betendeten Person zur Verfügung steht. Dies machen wir uns zunutze, wenn wir die vielen Zaddikim erwähnen, denen G'tt in der Vergangenheit geholfen hat - jedes der dadurch entstandenen Tore wollen wir für uns verfügbar machen.
Tatsächlich stehen wir nicht auf der Stufe der vielen Zaddikim, die wir erwähnen. Doch am Ende der Aufzählung bitten wir G'tt schlussendlich auch, uns ob unserer Zerknirschung, ob unserer Bescheidenheit und Armut zu antworten.
Mozzei Jom Kippur, gleich im Anschluss an Ne'ila als krönenden Abschluss von Jom Kippur, also nur Minuten nachdem wir das neue Jahr sündenfrei beginnen konnten, haben wir in der Tfila gesagt: "Verzeihe uns, unser Vater, denn wir haben gesündigt, vergib uns, unser König, denn wir haben gefrevelt." Doch welche Sünden haben wir in diesen wenigen Minuten begangen, dass wir bereits wieder um Verzeihung bitten müssen? In der Gemara wird von einem Mann berichtet, der tagtäglich ein Korban Ascham-Taluj brachte. Dabei handelt es sich um ein Opfer, das man bringt, wenn man sich nicht sicher ist, ob man eine Sünde begangen hat. Dieser Mann war stets so besorgt er könnte unbemerkt gesündigt haben, dass er täglich ein Opfer darbrachte. Doch es gab eine Ausnahme - den Morgen nach Jom Kippur. Und doch sagen wir nicht erst am Morgen, sondern in den Momenten nachdem Jom Kippur endet: "Verzeihe uns."
Am Abend nach Jom-Kippur-Eingang sagen wir den Satz "Baruch Schem Kwod..." nach Schma Israel laut, da wir an diesem Tag wie Engel sind. Mozzei Jom Kippur dagegen sagen wir den Satz wieder leise, wie wir es das ganze Jahr über tun, denn wir sind nun nicht mehr wie Engel. Doch einer bekannten Erklärung von Raw Schalom Schwadron zufolge müsste es eigentlich genau umgekehrt sein: Am Jom-Kippur-Abend sind wir nicht hungrig, wir haben auch noch keine der anderen Einschränkungen von Jom Kippur, die uns den Engeln gleich machen, erlebt. Nach dem kompletten Fasttag dagegen waren wir wirklich einen Tag wie Engel. Doch das Fasten bestimmt sich nicht nach dem Bauch, sondern nach dem Kopf. Auch wenn wir am Abend noch nicht hungrig waren und es nicht vermissten, uns zu waschen, so waren doch unsere Gedanken vollständig auf ein erfolgreiches Fasten, Tschuwa, Zedakka und gute Taten gerichtet. Doch am Ende des Fasttags können unsere Gedanken leicht darum kreisen, was wir jetzt gleich essen werden. Für diesen Gedanken, gleich am Ausgang des Jom Kippur, sagen wir: "Verzeihe uns."
Einer anderen Erklärung vom Kotzker Rebben nach glauben wir nicht wirklich mit vollem Herzen daran, dass G'tt uns alle Sünden verziehen hat. Diese Erkenntnis ist aber wichtig: Wenn wir denken, dass die bisherigen Sünden ohnehin noch "offen" sind, machen wir einfach mit unseren Sünden weiter. Wenn wir aber wissen, dass alle bisherigen Sünden vollständig bereinigt sind und wir wirklich wieder ein "unbeschriebenes Blatt" sind, wird es uns wesentlich schwerer fallen, neue Sünden zu begehen. Und dafür, dass wir nicht voll daran glauben, dass unsere Sünden verziehen wurden, sagen wir gleich nach Jom Kippur: "Verzeihe uns!"
Wer einen Freund über 30 Tage nicht gesehen hat und sich über das Wiedersehen freut, soll laut der Gemara die Bracha "Schehechejanu" sagen. Nach 12 Monaten sagt man die Bracha "Mechaje hametim" ("der die Toten wiederauferstehen lässt"). Heute gibt es wenige Gelegenheiten, diese Halachot einzuhalten, da die Gemara von einem Fall ausgeht, bei dem man von der betreffenden Person 30 Tage oder 12 Monate gar nichts gehört. In der heutigen Zeit geschieht das aufgrund der diversen Medien sehr selten. Anders als das Sagen von "Schehechejanu" beim Wiedersehen eines Freundes, wie bei anderen freudigen Ereignissen, ist die Bracha nach 12 Monaten nicht sofort verständlich.
Der Maharscha erklärt, dass in diesem Fall mindestens einmal Rosch Haschana gewesen ist, seit man das letzte Mal von dieser Person gehört hat. Das bedeutet, dass in dieser Zeit über das Leben dieser Person entschieden wurde, weshalb wir uns über das Überleben freuen und eine Bracha sagen.
Doch Raw Israel Salanter geht noch einen Schritt weiter: Wenn man nach Rosch Haschana davon ausgeht, dass einem offensichtlich ein weiteres Lebensjahr zugesprochen wurde, müsste man eigentlich "Hagomel" sagen, die Bracha, die wir statt dem Dankesopfer nach Krankheiten und anderen Lebensgefahren sagen. Er erklärt, dass zu Rosch Haschana, wie wir aus "Unetane Tokef" wissen, nicht nur über das Überleben entschieden wird, sondern auch darüber, wer seine vorgesehene Lebenszeit erreicht, und wer nicht ("mibekizo"). Die Gemara sagt sogar, dass die Mehrheit der Menschen ihre vorgesehene Zeit nicht erreichen. Deshalb wissen wir nach Jom Kippur nur, dass wir teilweise erfolgreich waren. Wir wissen aber nicht, ob nicht ein früheres Lebensende als vorgesehen beschlossen wurde, das uns erst in einigen Jahren ereilen wird. In diesem Fall können wir nicht "Hagomel" sagen, so wie zum Beispiel bei nur teilweiser Heilung einer Krankheit.
Aus diesem Grund müssen wir diese letzten Tage der "Asseret Jemej Tschuwa" nutzen, um über unsere Taten nachzudenken, Vorsätze zu machen und gute Gebräuche anzunehmen, um so ein gutes Urteil zu erhalten. Denn jeder zusätzliche Gebrauch macht aus einem einen neuen Menschen. Jemand, der täglich betet, ist nicht der gleiche Mensch, wie einer, der es nur unregelmäßig tut. Jemand der jeden Tag lernt, ist ein anderer Mensch als einer, der das nicht tut.
Gmar Chatima Towa!
In der Gemara wird berichtet, wie Rabbi Elieser, nachdem bereits sehr lange Zeit kein Regen gefallen war und insgesamt schon dreizehn Fasttage innerhalb von sieben Wochen abgehalten wurden, um G'tt um Erbarmen zu bitten, damit endlich Regen fällt, ein besonderes, langes Schmona-Essre-Gebet mit sechs zusätzlichen Brachot sprach. Doch auch daraufhin fiel kein Regen. Anschließend sprach sein Schüler, Rabbi Akiva, folgende Sätze, die wir auch aus dem "Awinu Malkenu" kennen: "Unser Vater, unser König, wir haben keinen König außer dir. Unser Vater, unser König, handle für dich, erbarme dich unser." Daraufhin regnete es sofort.
Bald darauf begannen die anwesenden Leute zu reden und lästerten, dass Rabbi Akiva anscheinend bedeutender war als sein Lehrer Rabbi Elieser. Doch in Wirklichkeit sagte Rabbi Akiva selbst, dass alles Torawissen, das er jemals gelernt hat nur ein kleiner Tropfen des Ozeans von Rabbi Eliesers Wissen ist. Um das klarzustellen, war sofort eine himmlische Stimme zu vernehmen, die verkündete: "Es geschah so, nicht weil der eine bedeutender ist als der andere, sondern weil dieser zurück steckt und jener nicht zurück steckt."
Damit ist gemeint, dass Rabbi Akiva nachsichtig war, wenn er persönlich angegriffen wurde, auf seinen Respekt und seine Würde verzichtete, auch wenn er im Recht war. Rabbi Elieser dagegen wehrte sich, wenn er zu Unrecht angegriffen wurde und bestand auf seinem Recht. Doch wenn das so ist, war doch Rabbi Akiva anscheinend wirklich bedeutender und wichtiger, denn er suchte nicht jeden Streit, der sich anbahnte.
Es gibt zwei Wege, in denen G'tt die Welt führt: Einerseits mit Barmherzigkeit und Nachsichtigkeit, und andererseits gerecht und streng nach dem Gesetz. Mit welcher dieser Einstellungen G'tt einem Menschen gegenüber auftritt, also ob er streng nach seinen Taten beurteilt wird oder ob G'tt Barmherzigkeit übt und die Strafe hinauszögert, entscheidet der Mensch selbst: So wie er sich seinen Mitmenschen gegenüber verhält, so verhält sich G'tt auch ihm gegenüber. Beide Wege sind aber möglich und zulässig, keine dieser Einstellungen ist besser als die andere, man muss nur jeweils mit den Konsequenzen leben. Rabbi Elieser war streng mit sich selbst und seinen Mitmenschen, deshalb handelte G'tt ihm gegenüber auch streng nach dem Gesetz - und dementsprechend verdiente das Volk damals keinen Regen, weshalb auch die wochenlangen Gebete und Fasttage nicht fruchteten. Rabbi Akiva dagegen begegnete seinen Mitmenschen mit Nachsicht, weshalb G'tt auch ihm mit Nachsicht begegnete. Aus diesen Grund wurde sein Gebet sofort erhört.
Beide Wege sind richtig, doch nur jemand wie Rabbi Elieser kann sich erlauben, den Weg der Strenge zu wählen, denn so wird er selbst auch beurteilt. Wir müssen unseren Mitmenschen gegenüber nachsichtig sein, damit auch G'tt uns gegenüber nachsichtig ist und wir für ein gutes Jahr besiegelt werden!
Zu Rosch Haschana und Jom Kippur wird das Gebet "Unetane Tokef" gesagt. Dieses wurde von Rabbi Amnon von Mainz im Mittelalter geschrieben. Er war ein guter Bekannter des Erzbischofs von Mainz. Dieser hatte ihn, auf Drängen seiner Berater, dazu aufgefordert, zum Christentum zu übertreten. Rabbi Amnon entgegnete, dass er sich das drei Tage überlegen muss. Doch sofort danach bereute er diese Aussage und fastete und betete drei Tage. Als er schließlich zwangsweise vor den Bischof geführt wurde, bat er darum, dass ihm die Zunge, die so etwas sündhaftes gesagt hatte, abgeschnitten werden solle. Stattdessen lies der Bischof aber seine Arme und Beine amputieren. Schließlich wurde er zu Rosch Haschana ins Beit Knesset gebracht und sprach dort Unetane Tokef. Anschließend verstarb er. Einige Tage später teilte er einem Schüler im Traum mit, dass dieses Gebet im Himmel hoch geschätzt wurde und ab sofort von allen Juden zu Rosch Haschana und Jom Kippur gesagt werden solle.
Im Unetane Tokef steht unter anderem: "Und du wirst das Buch der Erinnerungen öffnen, und es wird aus sich selbst gelesen werden." Diese ungewöhnliche Formulierung bedarf natürlich einer Erklärung.
Wenn ein Mensch nach 120 Jahren in den Himmel kommt kann es geschehen, dass ihm Sünden vorgeworfen werden, die er glaubt, nie begangen zu haben. Doch in Wirklichkeit ist er auch für diese Sünden verantwortlich. Wenn ihn zum Beispiel jemand gesehen hat, wie er eine Sünde begeht, könnte diese Person sich denken: "Wenn dieser Mensch sich so eine Sünde erlauben kann, dann kann ich das mindestens genauso." Das Prinzip gibt es natürlich auch in die andere Richtung: Wenn jemand zum Beispiel beginnt, regelmäßig zur Tfila ins Beit Knesset zu gehen, kann es passieren, dass ein Nachbar sich denkt: "Das sollte ich eigentlich auch tun." Alle Mizwot, die er mit seiner Tat, wenn auch vollkommen unbeabsichtigt, bewirkt hat, werden ihm angerechnet.
Im Buch der Erinnerungen gibt es deshalb auch zwei Teile: Einen mit den aktiven Taten einer Person, und einen mit den passiv bewirkten Taten. Darauf wird durch die ungewöhnliche passive Formulierung angespielt.
Rabbi Amnon hat gesündigt, in dem er überhaupt in Erwägung gezogen hat, zum Christentum zu übertreten, denn das ist eine der wenigen Sünden, die man sogar unter Lebensgefahrt nicht begehen darf. Für diese Sünde machte er auch sofort Tschuwa. Doch er machte sich Vorwürfe, welche Auswirkung seine Sünde auf andere haben könnte. Juden, die vor eine ähnliche Entscheidung gestellt werden, was zu dieser Zeit oft vorkam, könnten sich denken: Wenn sogar Rabbi Amnon darüber nachdenkt, dann kann es für mich nicht so schlimm sein. Für diese Sünde wollte er sich bestrafen, in dem er darum bat, ihm die Zunge abzuschneiden. Und als Anspielung für diese "passive" Sünde die er begangen hatte, baute er die ungewöhnliche Formulierung des sich selbst lesenden Buches in das Gebet ein.
In der Gmara wird folgende Geschichte erzählt: Jochanan ben Sakai war sehr krank und seine Schüler kamen, um ihn zu besuchen. Als sie in sein Zimmer hineintraten und er sie erblicken konnte, begann er zu weinen. Sie fragten ihn, erschrocken über seine Tränen, warum er denn weine und er erklärte ihnen: „Wenn ich vor einem menschlichen König stehen würde, der heute lebt und morgen tot sein kann und dessen Zorn kein ewiger Zorn ist und wenn er mich bestrafen würde, es keine Strafe für immer wäre und selbst wenn er mich töten würde, wäre ich nicht für immer tot und ich könnte ihn überreden und eventuell sogar mit Geld bestechen, selbst dann würde ich weinen. Und jetzt wo man mich vor G'tt , König aller Könige bringt, welcher für immer existieren wird, dessen Zorn ein ewiger Zorn ist und dessen Strafe eine ewige Strafe sein wird, und wenn er mich töten würde, wäre ich für immer tot und ich kann ihn nicht überreden oder bestechen und ich weiß nicht, ob ich in den Gan Eden (Paradies) oder ins Gehinon (Hölle) kommen werde - da soll ich nicht weinen?“
An diese Stelle stellen sich nun zwei Fragen: Hat er wirklich Angst gehabt, dass er in die Hölle kommt? Wieso beginnt er erst zu weinen, als die Schüler hineinkommen? Die Antwort hierauf ist die folgende: Jeder Mensch kann selbst abschätzen, was er gutes und was er schlechtes getan hat, aber Jochanan ben Sakai wusste nicht, ob er es geschafft hat, alles Wichtige an seine Schüler weiterzugeben und er hatte Angst vor ihrem Urteil.
Darum hat er angefangen zu weinen, als sie den Raum betraten. Und das ist auch die Antwort auf die erste Frage: Er hat sich keine Sorgen darüber gemacht, dass er ins Gehinom kommen könnte, vielmehr hatte er Angst, dass seine Schüler kein gutes Urteil bekommen. Anhand dieser Geschichte können wir lernen, dass wir alle vor Jom Kippur darüber nachdenken sollten, wie wir unsere Familie, unsere Schüler, unsere Kollegen und unsere Freunde beeinflusst haben und darauf zu achten sie nicht auf einen falschen Weg zu leiten.
Die zehn Tage zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur, und besonders Jom Kippur selber, sind Tage des Gebets.
An den folgenden beiden Geschichten sehen wir, welche große Kraft und Bedeutung man den Gebeten zumessen muss, um ihr Wirken richtig zu verstehen:
Als der Rosch Jeschiwa der Mirer Jeschiwe sehr krank war, wurden täglich am Ende des Gebets ein Kapitel Tehilim und eine Tfila zu seiner Genesung gesagt. Das wurde mit der Zeit zur Routine, und es gab den Vorschlag, damit für einen Monat zu unterbrechen, um danach wieder zu starten, um so die Kawana, die Leidenschaft beim Gebet, zu erhöhen. Doch der Rosch Jeschiwa stimmte nicht zu. Da jedes Problem - des Einzelnen wie des Volkes - mit einer bestimmten Anzahl an Gebeten gelöst werden kann, befürchtete dieser, dass genau diese Gebete die zur Heilung des Rosch Jeschiwa notwendigen sein könnten.
Die Halacha sagt, dass man am Rosch-Haschana-Abend jeden, dem man begegnet, "Le Schana Towa tikatew wetechatem" sagen muss. Weshalb gibt es diese Vorschrift? Es bleibt normalerweise jedem selbst überlassen, wen er grüßt und wen nicht.
Kurz vor seinem Tod lag Raw Mosche Feinstein krank im Bett, wollte aber Erew Rosch Haschana ins Beit Knesset gehen. Seine Frau hielt das aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes für keine gute Idee, doch er erwiderte: 'Es werden heute um die 500 Leute im Beit Knesset sein, die mir alle "Le Schana Towa tikatew wetechatem" wünschen werden. Ich kann auf diese Brachot nicht verzichten!'
Man darf nicht unterschätzen, dass dieser Satz auch eine Segnung, ein Gebet ist.
Mögen unsere Gebete zu Jom Kippur erhört werden - Gmar Chatima Towa!
In den Asseret Jemej Tschuwa, den Tagen von Rosch Haschana bis Jom Kippur, sagt man als Teil von Tfilat Schacharit Psalm 130. Die letzten beiden Sätze lauten: "Israel erwartet G'tt, denn mit G'tt ist die Güte, und eine große Errettung. Und er soll Israel von all seinen Sünden retten."
Auf den ersten Blick ist gemeint, dass G'tt es ist, der uns von allen Sünden erlösen soll. Doch nach einer anderen Erklärung soll uns das Zurückkehren und das Erwarten der Rettung durch G'tt, also das ernsthafte Bemühen, Tschuwa zu machen, bereits erlösen.
In diesem Sinne müssen wir uns in den letzten Tagen vor Jom Kippur bemühen, Tschuwa zu machen, und hoffen, dass G'tt uns unsere Sünden verzeihen wird.
Gmar chatima Towa!
In der Tfila von Jom Kippur steht: "Der, der Awraham Awinu beim Har Hamorija geantwortet hat, soll uns auch antworten." Damit ist das Gebet gemeint, dass Awraham betete, als ihm befohlen wurde, seinen Sohn Jizchak zu schlachten. So wie G'tt damals auf Awrahams Gebete hörte, soll G'tt auch unsere Gebete beantworten.
In der Tora steht aber gar nichts von einem Gebet Awrahams. Im Gegenteil: Sogar als der Engel ihm sagt, er solle seinem Sohn nichts antun, beruft Awraham sich noch auf G'ttes Befehl. Was ist also das Gebet am Har Hamorija, das G'tt damals beantwortete?
Es gibt zwei Sorten des Gebets. Zum einen das, das der Mensch mit seinen Lippen spricht. Zum anderen aber auch das Gebet im Herzen. Manchmal kann ein Mensch sein Gebet gar nicht ausdrücken - aber im Herzen betet er doch.
So auch Awraham: Natürlich wollte er den Auftrag G'ttes erfüllen, aber als Vater wollte er natürlich nicht seinen Sohn schlachten. Er hat diesen Willen überwunden, aber im Herzen wollte er es nicht tun und betete zu G'tt.
Ein Midrasch erzählt, dass Awraham weinte, als er seinen Sohn zur Opferung brachte, und seine Tränen sind in Jizchaks Augen geflossen und haben so seine Schwersichtigkeit verursacht.
Das ist das Gebet, das G'tt damals angenommen hat.